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Olaf Willenbrock
      
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Botanik und Überwallung


Botanik und Überwallung

oder

Warum verschwinden Schilder und Zäune in einem Baum?

Bei einem Baum geschieht das Dickenwachstum des Stammes durch eine teilungsfähige Zellschicht unter der Rinde zwischen Bast und Holz, das so genannte Kambium. Es produziert sowohl nach innen als auch nach außen neues Zellmaterial. Nach innen liefert das Kambium die Zellen, die zu den Bausteinen des Holzes (Xylem) werden, das einerseits die Festigkeit des Stammes garantiert, andererseits für den Wassertransport verantwortlich ist. Nach außen liefert das Kambium die Zellen, die zu den Bausteinen des Bastes (Phloem) werden. Im Bast werden die Bau- und Betriebsstoffe der Pflanze (z.B. Kohlenhydrate und Aminosäuren) transportiert. Mit dem Dickenwachstum des Baumes verlagert sich das Kambium kontinuierlich vom Stammzentrum weg, meist konzentrisch nach außen.

Falls es an einem Baum zu einer Verletzung kommt, wird auch das Kambium unterbrochen. Wenn z.B. ein Nagel eingeschlagen wird, durchdringt er die Rinde und den Bast und steckt fest im Holz. Durch die Tätigkeit des Kambiums wächst nun neues Holz, in dem das herausragende Stück des Nagels allmählich versinkt. Dabei wachsen die Rinden- und Bastschichten langsam am Nagelkopf vorbei und verschließen sich vollständig. Der Nagel ist am Ende nur noch vom Holz umgeben.

Dieser Vorgang kommt auch natürlich vor. Wenn die Krone eines Baumes wächst, sterben die unteren Äste durch Lichtmangel ab. Sie brechen ab und die Stümpfe werden umwachsen. In Brettern sieht man sie später als "Astnägel" stecken. Für gutes Stammholz ist es wichtig, dass die Seitenäste an den Stämmen früh absterben, denn der Förster bevorzugt "astreines" Holz. Darum werden Bäume im Wald so dicht ausgepflanzt. Sie sollen sich gegenseitig beschatten und rasch in die Höhe treiben.

Wenn ein größerer Ast abbricht oder ein Specht eine Höhle baut oder ein Baum durch ein Fahrzeug verletzt wird, dann ist das Kambium auf einer größeren Fläche vernichtet (ebenso alle außerhalb liegenden Schichten von Bast, Rinde und Borke). Das Holz tritt jetzt nackt zu Tage. Dadurch sind Eintrittspforten für holzzerstörende Pilze offen. Da das Holz keine teilungsfähigen Zellen mehr enthält, kann es selber keine neue Deck- und Schutzschicht bilden. Aber der Baum versucht trotzdem, die Verletzung zu heilen. Die Zellen des Kambiums am Rande der Verwundung teilen sich zunächst ungeordnet und bilden einen so genannten Wundkallus. Das ist ein Wulst, der sehr gut bei abgesägten Ästen beobachtet werden kann. Der Wulst wächst von den Wundrändern her über die freie Holzfläche. Im Zentrum vereinigen sich schließlich die Ränder des Wundkallus. Das erneut flächig geschlossene Kambium gibt jetzt wieder regelmäßig Zellen nach innen ans Holz und nach außen an den Bast ab. Dieser Vorgang wird Überwallung genannt.

Wenn nun ein Draht an einem Baum befestigt wurde, der durch das Dickenwachstum des Baumes langsam in die Rinde einschneidet, dann werden die Schichten der Rinde und des Bastes sowie das Kambium durchtrennt. Das heißt, dass die Leitungen für die Baustoffe unterbrochen werden, aber nicht die Wasserleitungen im Holz. Erst wenn der Draht das Holz erreicht hat, beginnt die Überwallung. Sobald das Kambium den Draht mit seinen Kalluswülsten umschlossen hat, werden an der Stelle des Fremdkörpers auch die Leitungsbahnen im Holz und Bast wieder durchgängig aufgebaut.

Das Baumaterial für die Überwallung wird von den Blättern bereitgestellt, da sie das Kohlendioxid aus der Luft aufnehmen und daraus die Grundstoffe für den Bau neuer Zellwände herstellen. Daher erfolgt die Überwallung oft besonders stark von oben, weil die Transportwege für die Baustoffe direkt über der Wunde enden.

Insgesamt kann ein Baum also recht gut mit Fremdkörpern leben, sofern sie nicht zu groß sind.

Foto: Wundkallus einer Eiche

Titel: Wundkallus
(Hoffmannshof, Göttingen, 2002)

Überwallung eines Zauns

Titel: Destruktion
(Groß Ellershausen, Göttingen, 1998)

Sehr viel Dank geht an Ursula Hofmann, die mir ein paar Monate vor ihrem tödlichen Unfall (2004) bei der Überarbeitung des Textes sehr geholfen hat.

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